VELOSZENE SCHWEIZ 12/98

Spektakulär

Seit Jahren gehören die beiden Schweizer Bruno Risi (30) und Kurt Betschart zur internationalen Spitze auf der Bahn – ohne Aussicht auf Nachfolger aus dem eigenen Land. VELO traf die beiden Urner vor dem Zürcher Sechstagerennen (30. November bis 6. Dezember) zum Interview.

VELO: Bruno Risi und Kurt Betschart, in den vergangenen beiden Jahren fiel die Entscheidung um den Sieg am Zürcher Sechstagerennen jeweils im letzten Sprint. Ist der Anlass zum reinen Showspektakel geworden?

RISI: Nein, bestimmt nicht. Es war reiner Zufall.

VELO: Wirklich? Es schien, als hätten Sie, Bruno Risi, mit ihrem Gegner Silvio Martinello die letzten Wertungssprints so geplant, dass die Entscheidung im Finale fallen musste...

RISI: Wollen Sie damit sagen, dass jemand Regie geführt hatte? Nein, so ist das natürlich nicht.

VELO: Dazu kamen noch offensichtliche Fehlentscheidungen der Jury, die den Eindruck verstärkten, dass es um die Richtigstellung einer falsch interpretieren Inszenierung ging.

RISI: Das ist natürlich abstrus und völlig abwegig. Meiner Meinung nach soll die Jury ihre Finger aus dem Spiel lassen und ihre Aufgabe erledigen.

BETSCHART: Vielleicht noch ein anderer Punkt, den viele Zuschauer nicht kapieren: wieso im Finale nur noch die besten drei, vier Mannschaften um die Punkte sprinten. In der letzten Prüfung kann ein Team mit 15 Runden Rückstand nicht mehr gewinnen. Deshalb halten sie sich aus der Entscheidung raus – ähnlich wie in der Formel 1, wo überrundete Piloten den Spitzenfahrern Platz machen.

VELO: 1996 gewannen Sie in Zürich, 1997 immerhin Platz zwei. Wie sind denn die Vorbereitungen für diesen Winter verlaufen?

RISI: Nun, ich hatte lange Zeit ein ungutes Gefühl. Ich litt im Frühjahr an einer Viruserkrankung, von der ich mich nur langsam erholt habe. Deshalb fiel auch ein WM-Start ins Wasser. Dazu kamen die unsicheren Wetterbedingungen im September und Oktober. Es hatte oft geregnet, und deshalb konnten Kurt und ich nicht soviel Ausdauer trainieren wie in früheren Jahren. Ich denke aber dennoch, dass wir mit einer guten Verfassung in die Wintersaison starten.

VELO: 1997 war für Zürich ein schlechtes Jahr. Neben dem ausbleibenden Schweizer Erfolg brach die Zuschauerzahl um zehn Prozent ein – eine allgemeine Tendenz im Sechstage-Geschäft?

RISI: Nein, bloss in Zürich. Im Ausland florieren die Sixjours. Aber dort wird auch den Zuschauern etwas geboten: viele Showelemente, ein bisschen nackte Haut und dazu Sport. Das wollen doch die Leute sehen. Ein Gala-Abend, wie er bisher in Zürich stattgefunden hat, entspricht ganz bestimmt nicht den Erwartungen der Zuschauer. Und vor leeren Rängen zu fahren ist das Übelste, was uns passieren kann.

VELO: Für eine Trendwende soll jetzt der neue sportliche Leiter des Zürcher Sechstagerennens sorgen: Urs Freuler. Er war vergangenes Jahr noch selber Sechstagefahrer. Fehlt ihm die nötige Distanz?

RISI: Nein, bestimmt nicht. Wir fahren schliesslich auf professionellem Niveau, und da spielen persönliche Beziehungen nicht. Mit anderen Verantwortlichen wie Patrick Sercu oder Roman Herrmann hat es auch keine Probleme gegeben, obwohl deren früheren Konkurrenten mitunter heute noch Sixjours bestreiten. Diese Situationen wird es immer wieder geben. Vielleicht wird ja auch Etienne de Wilde mal ein solches Amt übernehmen.

VELO: Welchen Einfluss übt der Sportliche Leiter auf das Rennen aus?

RISI: Es ist nicht etwa so, dass der Sportliche Leiter bestimmt, wann attackiert werden darf und wann gebremst werden muss. Es sind vielmehr Finessen, die das Rennen attraktiver machen sollen.

VELO: Beispiele?

RISI: Es kommt meistens von uns selber aus. Wir werden ja nicht dazu angehalten, langsamer zu fahren. Wir erhalten die Order, so spektakulär wie möglich zu fahren. Oft vereinbaren wir unter den Teams, dass die stärkeren Formationen sich bei den Punkte- und Ausscheidungsfahren zurückhalten, dafür in den Américaines attackieren. Das hat zwei Gründe: so können kleine Mannschaften auch ein wenig Geld verdienen, andererseits können wir uns für jene Disziplinen schonen, die für das Gesamtklassement entscheidend sind.

VELO: Sie haben sich mit Ihrem fulminanten Einstieg 1992 den Namen "Alpen-Tornado" verdient. Heute sieht man ihre Spezialität von damals, die doppelten Rundengewinne, aber kaum mehr. Was hat sich seither geändert?

RISI: Es wird immer schwieriger, die Spitze wird immer breiter. Wenn das Feld bereits mit 54 km/h fährt, wird es wahnsinnig schwierig, alleine nur eine Runde zu gewinnen.

BETSCHART: Es ist ja auch nicht so, dass wir schlechter oder langsamer fahren. Wir können uns schlicht nicht mehr die aggressive Fahrweise erlauben. Früher kamen nach den ersten Tagen vielleicht noch drei Mannschaften für den Sieg in Frage, mittlerweilen umfasst diese Gruppe bis zu sieben, acht Paarungen. In München beispielsweise frage ich mich vor dem Rennen, welche Formation am ersten Tag überhaupt eine Runde verlieren kann.

VELO: Welchen Stellenwert besitzt das Zürcher Sechstagerennen 1998 für Sie?

RISI: Aus meiner Sicht hat das Rennen Einbussen erlitten. Ich beziehe mich dabei auf die Zuschauereinbussen und den fehlenden Nachwuchs aus der Schweiz. Jetzt müsste es auch im Interesse des Sportlichen Leiters Urs Freuler liegen, neue Fahrer an die Spitze zu führen.

VELO: Bedarf nach neuen Fahrern, fehlender Nachwuchs – die Weltmeisterschaft im August hat diesen Trend der Schweizer Bahnfahrer mehr als bestätigt. Gerade noch zwei Fahrer wurden nach Bordeaux geschickt – ist der Tiefpunkt erreicht?

BETSCHART: Ja, für mich war die Weltmeisterschaft nach dem krankheitsbedingten Ausfall von Bruno wie ein Ferienaufenthalt. Ich musste anstelle der Américaine das Punktefahren bestreiten, was bestimmt nicht gerade meine Spezialdisziplin ist.

RISI: Ich kann mich da nur anschliessen. Wenn sich vor Zürich einer von uns verletzt, wird es das gleiche Debakel aus Schweizer Sicht absetzen wie an der WM – weil schlicht keine Schweizer vorhanden sind, die auf internationalem Niveau an der Spitze mithalten können. Das Problem liegt in der Nachwuchsförderung, das man endlich in die Hände nehmen muss.

VELO: Diesen Vorwurf hört man seit Jahren. Was läuft falsch?

RISI: Es braucht eben vor allem Zeit, viel Zeit.

BETSCHART: Ich setze doch einige Hoffnungen in den neuen Bahntrainer Sepp Helbling – im Gegensatz zu seinen Vorgängern. Wer sich jedoch eine Verbesserung in zwei, drei Jahren erhofft, macht sich Illusionen.

VELO: Marvulli wurde als neue Schweizer Hoffnung präsentiert...

RISI: ...aber auch er ist noch jung. Auch ihm muss man noch Zeit geben.

BETSCHART: Vielen fehlt der internationale Vergleich. Die Dienstagabend-Rennen auf der Zürcher Rennbahn sind kein Ersatz dazu.

RISI: Marvulli ist bestimmt ein sensationeller Rennfahrer. Er darf aber nicht die Vorteile seines Bahrads vergessen. Ich habe jenes Velo im vergangenen Jahr auch getestet – und es bringt enorme Vorteile.

VELO: Zur Förderung des Bahnsports will Nationaltrainer Kurt Bürgi auch Pistards den Start an internationalen Etappenrennen ermöglichen. Gab es dieses Jahr Anfragen?

RISI: Wir hatten die Möglichkeit, die Österreich- und Rheinland-Pfalz-Rundfahrt zu bestreiten. Die Teilnahme an der Tessiner Rundfahrt und am GP Tell mussten wir leider wegen Terminkollisionen absagen.

VELO: Hat sich diesbezüglich eine Verbesserung eingestellt?

RISI: Ja, in den vergangenen zwei Jahren. Zuvor nannte Bürgi die Bahnfahrer "faule Burschen" – und hatte damit bestimmt nicht recht. Mittlerweilen sieht Bürgi diesen Irrtum auch ein. Insbesondere 1997 kam ich Bürgi in Gesprächen näher. Er sah ein, dass auch wir Bahnfahrer für Erfolge hart trainieren müssen, und dazu auch auf ein gutes Training auf der Strasse angewiesen sind.

BETSCHART: Man kann es auch ein bisschen verstehen. Er wird wohl zwei-, dreimal der Rennbahn einen Besuch abgestattet und einige Rennfahrer gesehen haben, die ein paar Runden drehen, dann eine Pause einschalten, wieder ein paar Runden drehen. So kann vielleicht ein falscher Eindruck entstehen.

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