VELOSZENE SCHWEIZ 12/98

Schneller Junge

Im April bestieg Fabian Cancellara erstmals ein Zeitfahrer-Velo, ein halbes Jahr später wurde der Berner in Holland Junioren-Weltmeister in dieser Disziplin. VELO besuchte diesen unbekümmerten Athleten im bernischen Hinterkappelen.

Die Pokale stapeln sich im Regal seines Schlafzimmers, einige haben bereits Staub angesetzt. Insgesamt 35 Auszeichnungen habe er bisher gewonnen, sagt Fabian Cancellara nicht ohne Stolz. Und diesen darf er ganz gewiss auf seine jüngste Errungenschaft haben: ein gekrümmter Radfahrer aus schlichtem Metall zwar, dafür mit unermesslichem, idellem Wert versehen. Es ist die Weltmeister-Trophäe aus Holland. Und während er sie in der Hand wiegelt, klingelt das Telefon, wahrscheinlich schon zum zwanzigsten Male an jenem Tag. "Ich komme kaum zur Ruhe", seufzt der 17jährige – dabei sind doch schon über zwei Wochen seit seiner weltmeisterlichen Siegesfahrt vergangen.

Dennoch findet Cancellara immer wieder Zeit, über seine Person Auskunft zu geben. Er findet das eben wichtig – und macht trotz seines jugendlichen Alters die Medienarbeit so gut, dass sich eine schweizerische Zeitung bereits am Tag des Erfolgs über ihn sagte, dass er "die Fragen leger, schon fast pragmatisch, wie ein alter Routinier, beantwortet." Und deutet damit – sich dessen wohl unbewusst – einer der Schlüssel zu Cancellaras Erfolge an. Der Berner Junge mit stupenden Körperlichen Voraussetzungen (1,89 m, 74 kg) besitzt offenbar die Fähigkeit, sich mit unglaublicher Geschwindigkeit in ein neues Gebiet einzuarbeiten. Als Nationalmannschaftsmitglied rückte der Fahrer der C.I. Ostermundigen im April in einen Zeitfahrer-Kurs ein. Von Beginn weg gehörte Cancellara zu den Besten. Taktische Finessen habe er in jenem Kurs kennengelernt, erinnert er sich – und legte dabei den Grundstock zu seinem bisher grössten Triumph.

Dabei setzte er sich zu Beginn der Saison komplett andere Perspektiven. Eben gerade aus der Anfänger-Kategorie aufgestiegen, ging es für ihn primär darum, sich an den höheren Rhythmus und die längeren Distanzen zu gewöhnen. "Einzelne Podestplätze und die Weltmeisterschaftsselektion, das waren meine Ziele", sagt Cancellara. Damals habe er allerdings an das Zeitfahren gar noch nicht gedacht. Prompt gewann er – für ihn überraschend – im März das zweite Saisonrennen. Das könne doch nicht sein, habe er damals gedacht, und: "Ich fühlte mich noch überhaupt nicht in Form, zudem hatten meine ärgsten Gegner schon viel mehr Kilometer zurückgelegt." Doch Cancellara irrte sich. Bis heute sind sechzehn Siege in den unterschiedlichsten Sparten zusammengekommen. Der Goldjunge wurde in seinem ersten Zeitfahren-Wettkampf gleich Schweizermeister, den Titel am Berg verpasste er im Schlusssprint gegen Michael Albasini nur knapp. Dafür gewann Cancellara das prestigeträchtige Zeitfahren "GP des Nations" (FRA) und triumphierte in der mehrtägigen Österreich-Rundfahrt. In diesem Erfolgsreigen war der spannende WM-Krimi (zwei Sekunden Vorsprung auf den Deutschen Torsten Hieckmann) tatsächlich der Saisonhöhepunkt. Cancellaras Erfolgsrezept? Ganz einfach: "Auch wenn ich kurz vor Schluss völlig kaputt bin, kann ich noch Kräfte frei machen."

Sein Ziel für 1999 hat sich Cancellara damit bereits vorgegeben: er darf noch einmal an der Junioren-WM starten und wird versuchen, den Titel zu verteidigen. Und wie es dann mit dem "Berner Giäl" weitergeht, ist bereits bestimmt und dennoch offen. Klar, sein Fernziel heisst "Berufsfahrer", doch er ist auch Realist – im Gegensatz zu den helvetischen Medien, die nach dem Erfolg die sonst übliche kritische Reflektion vermissen liessen. "Der Weg zum Profitum ist noch weit", sagt Cancellara, der mit seinen 17 Jahren bereits eine überraschende Reife an den Tag legt. Er tut gut damit, denn die Vergangenheit hat immer wieder gezeigt, dass ein Junioren-Titel kein Garant für eine Karriere ist. Lediglich Greg LeMond (1979) und Pawel Tonkow (1987) konnten sich auch später durchsetzen. Noch nicht zu den Ausnahmen gehört indes die letzte Schweizer Juniorenweltmeisterin, Andrea Hänni, die 1995 in San Marino das Strassenrennen gewonnen hatte. Zwar hat sie mittlerweilen den Sprung in eine italienische Squadra geschafft – nicht aber den Anschluss an die Weltspitze.

Pascal Meisser

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