VELOSZENE SCHWEIZ 12/98

Der einsame Weg zur Spitze

Ein tragischer Fahrradunfall veränderte das Leben von Beat Schwarzenbach dramatisch. VELO dokumentiert die Sportlerkarriere des Versehrten und zeigt seinen beeindruckenden Weg zum Erfolg.

Es war einer dieser lauen Mai-Abende 1989, als sich Beat Schwarzenbach nach der Arbeit mit seinem Freund Flurin Farrer auf den Weg machte, um mit dem Rennrad noch ein paar Trainingskilometer zu absolvieren. Ein Nachtessen im Garten der Familie Schwarzenbach sollte den Abend beschliessen. Doch dazu kam es nicht: Nach einer unübersichtlichen Kurve in einer steilen Abfahrt stand plötzlich ein Traktor mit Heuwagen mitten auf der Strasse. Mit über 60 Stundenkilometern unterwegs hatten die beiden Radsportler keine Chance, dem Vehikel auszuweichen. Während Flurin, vom Schrei des führenden Schwarzenbach gewarnt wurde und noch rechtzeitig bremsen konnte, prallte jener fast ungebremst in den Ladewagen. Beim Aufprall war der Oberschenkel so stark gequetscht worden, dass eine Amputation unumgänglich wurde.

Nach einem Jahr war Beat Schwarzenbach körperlich wieder hergestellt. Den gelernten Beruf als Forstwart konnte er wegen der langen Fussmärsche aber nicht mehr ausüben. Er absolvierte eine Lehre als Fahrradmechaniker. Auch sportlich begann sich Schwarzenbach wieder fürs Fahrrad zu interessieren. Zu Fuss stark handicapiert, bot das Mountain Bike eine gute Gelegenheit, auch weitere Distanzen relativ mühelos zurückzulegen. Die kleine Übersetzung erlaubte es ihm, Steigungen hochzufahren. Bald wurden die Touren länger und er konnte mit den Kollegen von früher wieder mithalten – mit einem Bein. Das war für ihn natürlich mental ein grosser Aufsteller.

Resignation wäre für ihn ohnehin nie zur Debatte gestanden: "Ich schaute einfach vorwärts, verdrängte die negativen Gedanken. Schlimmer wäre es für mich jedoch gewesen, wenn ich nur noch Sportarten hätte betreiben können, die ausschliesslich von Behinderten ausgeübt werden.” Und nicht ohne Galgenhumor fügt er an: "Wer ein Bein verliert, ist froh, nicht gelähmt zu sein. Ich habe an den Olympischen Spielen in Atlanta 1996 Versehrte gesehen, die hatten so schwere Behinderungen, dass ich gar keinen Grund habe, unzufrieden zu sein.”

1993 wollte Schwarzenbach Radrennen für Behinderte bestreiten. Aber erst in Deutschland wurde er fündig. Auf sich selber gestellt, startete er zur Deutschen Meisterschaft der Körperbehinderten — und wurde letzter. Ein böses Erwachen für den Kämpfertypen. Schwarzenbach hatte danach vom Wettkampfsport genug, fühlte sich alleingelassen - wenigstens vorläufig. Intensive Gespräche mit der schweizerischen Tandem-Vereinigung bewirkten aber, dass sich diese auch gegenüber anderen Versehrten öffnete.

Schwarzenbach bekundete Mühe, die sportliche Niederlagen zu akzeptieren. Er begann häufiger und intensiver zu trainieren, sich für die Europameisterschaften 1995 in Augsburg (D) vorzubereiten. Noch während der Wettkämpfe wurde ihm bewusst: Mit wenig Mehraufwand könnte er an der Spitze mithalten. Noch gezielter machte er sich an den Formaufbau: er legte täglich zwischen 80 und 100 Kilometer zurück.

Aufgrund der EM-Resultate erhielt er bald darauf die Olympia-Selektionslimiten für Bahn und Strasse. In Topverfassung startete der Schweizer zur Deutschen Meisterschaft. Mit den Olympialimiten im Kopf, nahm er am Bahn-Omnium (1-km- Zeitfahren, 4-km-Verfolgung, 200-Meter-Sprint mit fliegendem Start) teil. Der Tag endete mit einer Sensation: In der Verfolgung konnte Schwarzenbach den Weltrekord des Tschechen Michael Stark (5:49,98 Minuten) um über zwei Sekunden auf 5:47,12 Minuten unterbieten. Dabei wollte er bloss seine Olympia-Limite von 6:05 Minuten schaffen. Die Limite für den Kilometer (1:31 Minuten) folgte quasi als Zugabe. Somit hatte der Wettswiler das Ticket nach Atlanta.

Trotz Ungewissheit über das Leistungsniveau seiner Kontrahenten konnte Schwarzenbach auch an den Paralympics reüssieren. Allerdings da, wo er es nicht erwartet hatte: auf der Strasse. Im Spurt wurde er Zweiter hinter dem Franzosen Luc Raoul.

Es sollte nicht der letzte internationale Top-Resultat bleiben. Optimal vorbereitet von seinem neuen Trainer Michael Steinmann und moralisch unterstützt durch Freundin Andrea Bruhin errang der Wettswiler heuer auch den Vizeweltmeistertitel im Zeitfahren an den Radweltmeisterschaften für Behinderte in Colorado Springs (USA). Und selbst vom Bike-Marathon in St. Wendel liess sich der 30jährige nicht beeindrucken. Er legte die 55-Kilometer-Strecke in 4:28:44 Stunden zurück und wurde 31. von 38 gestarteten der Kategorie «Senioren mit Lizenz». «Ich wäre unter die ersten 20 gefahren, wenn die Strecke nicht derart morastig gewesen wäre», gibt sich Schwarzenbach kämpferisch — und freut sich bereits auf die Rennen im kommenden Jahr, wo er sich trotz Behinderung wieder mit Gleichgesinnten messen wird.

Pascal Meisser

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